Jungpflanzenanzucht 2017

Nachtrag zur Jungpflanzenkultur 2017
Meine Erfahrungen und Beobachtungen mit den immer extremeren Gartenwetter haben für mich viele Änderungen in der Jungpflanzenkultur von Tomaten und Co ergeben. Vieles was für mich jahrelang galt muss umgeschrieben oder zumindest ergänzt werden damit die Jungpflanzenanzucht als Grundstein der gärtnerischen Selbstversorgung weiterhin gelingt. Das wichtigste beschreibe ich schon einmal hier.

Tischheizung: Erfahrungen mit einer Unterbodenheizung...
In 2017 nutzte ich zum erstenmal eine Tischheizung um meinen Samen bessere Keimbedingungen zu schaffen.Diese Tischheizung sind in eine Sandbett gelegte Heizmatten wie sie auch in normalen Fußbodenheizungen für Wohnräume verwendet werden. Mit einem secheckdrahtgeflecht („Hasengitter“) und einer Kulturmatte deckte ich das Ganze ab um eine glatte Stellfläche zu schaffen.
Ich hielt die Wärme auf dem Tisch per Thermostat konstant auf 25 °C, denn Pflanzenkeimlinge lieben Bodenwärme. Zusätzlich heizte ich das etwa 12 qm große Anzuchtgewächshaus auf mindestens 15 °C mit einem Heizgebläse. Tagsüber können sich darin selbst bei geringer Sonneneinstrahlung in dem Raum 20 bis annähernd 30°C bilden. Nachts muss ich dem Raum auf zweistellige Plusgrade halten, damit die Pflanzen keine dauerhaften Kälteschäden davontragen.
 

Temperaturabsenkung bei Nacht sorgt für ein gesünderes Wachstum
Bei der Tischheizung machte ich den Fehler, das ich die Temperatur nachts nicht abgesenkt hatte. Ideal wären Tagestemperaturen von 25°C und Nachttemperaturen um 18°C. Die Folge war das meine Pflanzen zu schnell in die Höhe geschossen sind. Dank der kalten Apriltemperaturen, konnte ich aber nicht alle Pflanzen rechtzeitig topfen. Ich hatte einfach mehr Arbeit mit bspw. düngen die Pflanzen in ihren Aussaatgefäßen hinzuhalten. Nächstes Jahr werde ich auf eine Nachtabsenkung der Tischheizung achten. Vorher hatte ich das Problem nicht, da sich nachts die Gewächshaustemperatur von alleine senkte. In vielen Wohnräumen haben wir die selbe Schwierigkeiten. Werden zur Jungpflanzenanzucht gleichmäßig beheizte Wohnräume genutzt hat das oft einen Geilwuchs zur Folge. „Geilwuchs“ bedeutet das die Pflanzen lange dünne, helle Triebe bilden und leicht brechen. In Wohnräumen bekommen die Pflanzen zudem zu wenig Licht. Fensterscheiben lassen im Vergleich zu speziellen Gewächshauseindeckungen zu wenig Licht durch. Ich habe die besten Erfahrungen mit hellen, mäßigwarmen Gewächshäusern gemacht. Eine langsamere aber stabilere Pflanzenentwickung ist mir lieber.

Unterschiedliches Keimverhalten als Wirkung einer intelligenten Risikostreuung
Unabhängig von diesen wunderbaren Keimbedingungen entschlossen sich 2017 viele Tomatenpflanzen trotzdem erst nach 3 -4 Wochen zu keimen. Nach wie vor gibt es unabhängig von Sorte und Jahrgang einige Individuen die schon nach 1-2 Wochen volle Keimblätter und die ersten Ansätze von Laubblättern bilden. Das Verhältnis von den schnellen Keimern zu den Langsameren war für mich bei der Aussaat um den 11.3 ungefähr bei der Hälfte. Bei der späteren Aussaat Ende März bis Anfang April ging die Keimung insgesamt schneller und regelmäßiger. Das Verhältnis lag zu 70% bei den „Schnellen“ und zu 30% bei den „Langsamen“. Die später gesäten Pflanzen zeigten eine deutlich bessere und schnellere Pflanzenentwicklung als die frühen Aussaaten. Diese Beobachtung mache ich jetzt schon seit über 3 Jahren.
Insgesamt beobachte ich bei den Pflanzen bei gleichbleibenden Kulturbedingungen eine zunehmend unberechenbarere Keimung und Jungpflanzenentwickung. Auf eine tage- und wochenlange Stagnation folgt ein sehr rasches Wachstum, das die Verzögerungen gut aufholt. Der durchgängig kalte April war in Bezug auf die optische Qualität meiner Jungpflanzen fast beschämend. Die Winzlinge waren alles andere als verkaufsfördernd und holten erst mit den warmen Tagen Anfang Mai im Wachstum auf. Erst Mitte/Ende Mai hatte ich in meinen Beständen die Pflanzenqualität wie ich sie in den Jahren bis 2015 kannte. Für die nur bis Ende Mai begrenzte Verkaufssaison war das natürlich etwas spät.

Risikostreuung hilft beim Überleben der Art/Species
Für mich liegt die Erklärung in einer sehr intelligenten Risikostreuung unter den verschiedenen Tomatensorten und den Pflanzen allgemein. Wenn es um die Erhaltung der Art, Spezies geht, ist es in Zeiten von häufigen, stärker ausgeprägten und oft nicht vorhersehbaren Wetterwechseln sinnvoller zu unterschiedlichen Zeiten zu keimen. Der Förster Peter Wohlleben beschreibt dieses Phänomenen in seinen Büchern übern die Bäume. Damit kann zumindest ein Teil der Art/Spezies überleben und sich weiterentwickeln. Ich vermute das es bei den samenfesten, züchterisch noch nicht so stark veränderten Sorten ein besseres Gefühl für den passenden, richtigen Zeitpunkt zum Keimen gibt. Für die professionelle Landwirtschaft ist diese Eigenschaft zweitrangig oder eher schädigend, denn die Jungpflanzen erwartet hier ein Leben unter gleichförmigen, technisch gesteuerten Kulturbedingungen. Im Hausgarten oder in Gegenden mit sehr knappen Ressourcen können wir den Pflanzen diesen Luxus nicht bieten. Wir sind mehr auf die Intelligenz der Pflanzen, eben zum richtigen Zeitpunkt zu Keimen, angewiesen.

Die späte Keimentwicklung 2017 hatte ihren Sinn.
2016 war es genauso. Der kalte April hat so mancher vorschnellen Tomatenpflanzen den Garaus gemacht. Meine Tomatenjungpflanzen im unbeheitzten Frühbeetkasten sind mir zu 90% erfroren. Die in den frostfrei gehaltenen Gewächshäusern überlebten. Teilweise hatten sie Kälteschäden, die sich in einer mehrwöchigen Wachsstumsstillstand auswirkten. Paprika, Chili und Auberginen hatte ich dieses Jahr erst Anfang Mai umgetopt. Nach oft vierwöchiger Keimruhe gingen meine Sorten unabhängig vom Saatgutalter gut auf.
Ich ziehe es vor auf die "Intelligenz" der Pflanzen zu vertrauen auch wenn ich länger warten muss. Wachstumsverzögerungen holen die Pflanzen bei besseren Wetter sehr schnell auf.

Gute Saatgutqualität beinhaltet mehr als nur schnelle Keimung
Die Qualität des Saatgutes wird oft nur an dessen Keimfähigkeit gemessen, doch entscheidener ist für mich die Fähigkeit der Sorten auch unter suboptimalen Bedingungen eine gute Ernte zu bringen. Dazu gehört auch die pflanzliche Anpassung an das Wetter.
Immer wieder stelle ich fest das meine Pflanzenwinzlinge mit wärmeren Temperaturen im Wachstum schnell aufholen. Gerade bei feuchtwarmer Witterung explodieren die Pflanzen regelrecht im Wachstum. Ernteverzögerungen beobachte ich selten. Das gilt neben Tomaten auch für Chili, Auberginen, Paprika.

Egal ob ich schon fast 1 m hohe Tomatendiven Ende Mai in den Gartenboden setze oder kaum 20 cm zierliche Pflänzchen: die Ernte beginnt bei mir fast immer ab Ende Juli. Die Winzlinge kann ich nur viel leichter setzen und sie brechen nicht so schnell ab. Mir, und zu meinem wirtschaftlichem Glück auch anderen Hobbygärtnern, sind die Winzlinge lieber.

Der Gott des rechten Augenblickes - ist im Garten oft gefragt...
Wir unterliegen zwei Göttern der Zeit: Cronos und Kairos. (Vielleicht sind es noch mehr.) Wo wir es mit gleichförmigen, immer berechenbar wiederkehrenden Entwicklungen zu tun haben ist Cronos der Gott der Wahl.
Doch sobald sich die Bedingungen verändern und immer weniger vorhersehbar werden ist eher Kairos, der Gott des rechten Augenblickes angesagt.
Nach jahrzehntelanger Stabilität sind viele von uns sind an ein Leben in relativer Sicherheit und eben Vorhersehbarkeit gewöhnt. Handelsübliches Saatgut wird neben der züchterischen Bearbeitung oft so vorbehandelt das es innerhalb weniger Tage keimt.
Es macht glücklich so schnell Resultate zu sehen, doch passen sie auch in die vorherrschenden Gegebenheiten? Was möchte ich mit kräftigen Auberginenjungpflanzen Ende März anfangen wenn ich nur über eine Freilandgartenfläche verfüge und der Gartenboden erst ab Ende Mai bestellt werden kann? Immer wieder keimen meine Auberginen erst nach 4 Wochen um sich dann zur wärmeren Jahreszeit ab Mitte Mai schnell zu entwickeln. Manche Sorten wie `Slim Jim` oder `Blaukönigin` tragen noch vor den Tomaten ihre ersten Früchte.